Auch in diesem Jahr war artegic wieder vor Ort bei der The Next Web Europe, der vielleicht wichtigsten Digitalkonferenz Europas. In unserem ersten Beitrag zur Konferenz befassten wir uns mit der Erkennung von Trends, Erfolgsfaktoren für digitale Geschäftsmodelle sowie künstlicher Intelligenz. Doch da ein Beitrag für die The Next Web Europe 2016 nicht ausreicht, beschäftigen wir uns noch einmal mit der Konferenz und resümieren zwei spannende Talks über die Beherrschung der Customer Experience sowie die Frage nach dem Next Big Thing in der digitalen Wirtschaft.

Die Customer Experience kontrollieren

Marketing war nie komplexer als heute. Kunden nutzen mehr und mehr Kanäle auf mehr und mehr Endgeräten. Laut Mark Josephson, CEO von Bitly, ist die Customer Journey heutzutage kein Funnel mehr, sondern gleicht einem Labyrinth. Die Herausforderung für das Marketing besteht darin, dem Kunden durch dieses Labyrinth zu folgen, d.h. ihn an jedem Touchpoint zu identifizieren und seinen Weg nachvollziehen zu können, um Kommunikation zielgerichtet optimieren zu können. Das Ziel ist eine individualisierte Customer Experience für jeden Kunden.
Mark Josephson findet, dass Marketer in diesem Kontext nicht genug über die „großen Drei“ reden: Facebook, Apple und Google. Diese drei Unternehmen zielen darauf ab, möglichst weite Teile der Customer Experience zu kontrollieren, was es für Marketer umso schwieriger macht, diese Customer Experience selbst zu gestalten.
Facebook versucht, zum zentralen Anlaufpunkt der Internetnutzung, insb. der Inhaltenutzung, zu werden. Ein aktuelles Beispiel dafür sind Facebook Instant Articles, Artikel von (News) Publishern, die nicht mehr auf der Website des Publishers gehostet werden, sondern bei Facebook. Auch Videos werden immer öfter direkt bei Facebook gehostet anstatt von einer anderen Website eingebunden. Die Konsequenz: Der Nutzer bleibt in Facebooks Walled Garden anstatt die Websites anderer Anbieter zu besuchen. Facebook kontrolliert die Customer Experience und insb. auch die Nutzerdaten. Marketer haben nur begrenzten Zugriff auf diese Daten und damit auch begrenzte Nutzerinsights für die eigene Kommunikation.
Apple forciert mit seinem jüngsten Betriebssystem iOS9 noch stärker die Nutzung des Mobile Web über Apps. Die sog. Universal Links verlinken nicht mehr aus Apps ins Mobile Web sondern in andere Apps. So entstehen App to App Journeys. Der Traffic bleibt immer im iOS9 Walled Garden und gelangt nicht mehr ins Mobile Web, weshalb Marketer diesen Traffic auch nicht mehr über mehrere Angebote hinweg erfassen und analysieren können. Hinzu kommt, dass der Apple eigene Safari Browser standardmäßig Web Analytics Software blockiert, Safari Nutzer also nicht getrackt werden können. Mark Josephson geht sogar soweit zu sagen, dass Apple das Mobile Web zerstören will, zugunsten ihrer eigenen App basierten Customer Experience.
Google dominiert nicht nur den Suchmaschinenmarkt in vielen Ländern sondern geht mit Google AMP einen ähnlichen Weg wie Facebook mit seinen Instant Articles. AMP steht für Accelerated Mobile Pages und ist eine Technologie, die den Code mobiler Websites reduziert und dadurch das Laden dieser Websites beschleunigt. Im Gegensatz zu Facebook Instant Articles liegen die Inhalte jedoch weiterhin auf den Servern der Publisher. Tracking ist also weiterhin möglich. Google versucht die Customer Experience zwar nicht vollständig zu kontrollieren, sie jedoch zumindest stark zu beeinflussen.
90 Prozent der Marketer sehen eine individualisierte Customer Experience als sehr wichtig an, jedoch fühlen sich nur 80 Prozent der Kunden auch individuell wertgeschätzt (IBM/eConsultancy). Die Vorstöße der „großen Drei“ zeigen, wie wichtig es ist, die Customer Experience der eigenen Nutzer zu kontrollieren. Nur wer in der Lage ist, Daten von seinen Nutzern zu erfassen, kann diese auch zur Optimierung der Marketing- und Service-Kommunikation und damit der Customer Experience nutzen. Unternehmen sollten daher darauf achten, sich nicht zu abhängig von anderen Anbietern zu machen und verstärkt auf eigene Kanäle zu setzen. Hier ist insb. das digitale Dialogmarketing zu nennen. Ein entsprechendes Opt-In erlaubt es Unternehmen, eigene Profile ihrer Nutzer anzulegen, diese zu analysieren sowie in eigene Kommunikationsmaßnahmen zu überführen und so die vollständige Kontrolle über die Customer Experience zu behalten. Die konsequente Gewinnung von Opt-Ins an allen Touchpoints wird damit zur wichtigen Aufgabe von Unternehmen, die ihren Nutzern eine individualisierte Customer Experience bieten möchten.

Mark Josephson bei der The Next Web Europe

Mark Josephson bei der The Next Web Europe

The next big thing is not a thing

Auch Bill Buxton, Principal Researcher bei Microsoft, befasste sich in seinem Talk bei der The Next Web Europe 2016 mit dem Thema Komplexität. Seiner Meinung nach ist die Jagd nach dem Next Big Thing (die nächste erfolgreiche App, das nächste bahnbrechende Endgerät, den nächsten unverzichtbaren Service usw.) einer der Treiber der Komplexität. Dabei gehe es bei dem nächsten großen Ding weniger um das Ding an sich, sondern darum, die Beziehungen zwischen bereits vorhandenen Dingen zu verändern. Buxton stellte drei Regeln auf, die jedes neue Produkt/jeder neue Service befolgen sollte. Das Produkt/der Service sollte

  1.  eine ausgezeichnete Customer Experience und einen wirklichen Nutzen bieten,
  2.  sich nahtlos in das Ökosystem bisheriger Produkte/Services einfügen,
  3. die Komplexität aller anderen Produkte/Services verringern und ihren Nutzen erhöhen.

Als Beispiel nennt er die technologiegestützte zur Teilnahme an einem Meeting. Sitzt ein Nutzer mit seinen Kollegen in einem Meetingraum werden nicht anwesende Teilnehmer per Video- oder Telefonkonferenz zugeschaltet. Verlässt er vorzeitig den Raum, um zu einem anderen Termin zu kommen, wählt sein Smartphone ihn automatisch in die Telefonkonferenz ein, so dass er auf dem Weg zu seinem Auto weiter an dem Meeting teilnehmen kann. Steigt der Nutzer in das Auto verbindet sich der Bordcomputer automatisch mit dem Smartphone und dem Meeting kann über die Freisprecheinrichtung und ggf. eine Videofunktion weiter beigewohnt werden. Steigt er am Zielort aus dem Wagen aus, schaltet die Technologie wieder zurück auf das Smartphone. Die eingesetzte Technologie greift so ineinander, dass sie sich in Echtzeit an den jeweiligen Nutzungskontext anpasst und so dem Nutzer eine konsistente Customer Experience ermöglicht. Die einzelne Technologie tritt in den Hintergrund. Wichtig ist ihr nahtloses Zusammenspiel mit den anderen Technologien und die Reduzierung von Komplexität für den Nutzer. Der Nutzer steht im Mittelpunkt.
Aus Buxtons Ausführungen ergeben sich auch für das digitale Dialogmarketing drei wesentliche Learnings.

  1. Der Nutzer steht immer im Mittelpunkt der Marketing- und Servicekommunikation. Kommunikation muss sich an den Nutzer anpassen, d.h. ihm die gewünschten Informationen zum richtigen Zeitpunkt im richtigen Kanal zur Verfügung stellen.
  2. Dafür muss Marketing- und Servicekommunikation den jeweils aktuellen Nutzungskontext in Echtzeit mit einbeziehen, z.B. den Standort, das Endgerät, den Kanal, die Uhrzeit oder das Wetter.
  3. Marketing- und Servicekommunikation muss über alle Touchpoints hinweg konsistent sein. Dafür ist eine Single Customer View notwendig.