Nadja Hirsch im Interview mit artegic zur Digitalen Wirtschaft

Nadja Hirsch

Unsere Interview-Serie zum Thema Digitale Wirtschaft:

Die wirtschaftliche Bedeutung der Internet-Branche in Deutschland nimmt weiter zu. Dabei sind die unternehmerischen Akteure nicht nur international tätige Internetkonzerne, sondern vor allem auch kleine und mittelständische Unternehmen. Wie schätzen Sie die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen im internationalen Vergleich ein? Welche Potenziale sehen Sie und wie können diese genutzt und langfristig sichergestellt werden?

KMU zeichnen sich häufig dadurch aus, dass sie die Bedürfnisse der Kunden – seien diese lokal bedingt oder eine Reaktion auf internationale Trends – besser verstehen und kreativer darauf eingehen. Dennoch gehe ich davon aus, dass aufgrund der zunehmenden Digitalisierung der Markt für Internetunternehmen immer vernetzter und damit internationaler wird. Deutschland hat meines Erachtens zwei Faktoren, die uns in Zukunft im internationalen Vergleich zugutekommen: Wir haben eine starke industrielle Basis, und wir haben ein verstärktes Empfinden für den Schutz unserer Daten. Ersteres kommt uns bei der immer bedeutenderen Verbindung des „Internets der Dinge“ und dabei v.a. der Maschinen-zu-Maschinen-Kommunikation zugute. Wenn wir uns hier ranhalten, könnten wir international eine Führungsrolle einnehmen. Datenschutz hört sich für viele Unternehmen ähnlich an wie Klimaschutz – sie könnten nicht wachsen, wenn ihnen zu vielen Hürden und Vorgaben aufgebürdet würden. Das muss nicht sein: Wir müssen verstehen, dass Lösungen, die das verstärkte Bedürfnis der Kunden nach dem Schutz ihrer Daten angeht, ein Wettbewerbsvorteil sind.

Bei Förderung wird oftmals insbesondere an Start-Up Förderung gedacht. Doch wie steht es mit bereits etablierten Unternehmen aus dem erwähnten Mittelstand? Werden diese aufgrund der Fokussierung auf Start-Ups nicht möglicherweise vernachlässigt?

Ich kann Ihnen sagen, dass nur wenige Start-Up-Unternehmen den Eindruck haben, dass ihnen genügend Fördermöglichkeiten zur Verfügung stehen. Die Förderung der einen darf aber nicht zulasten der Förderung der anderen gehen. Gerade die Liberalen haben sich über die letzten Jahre intensiv mit der Förderung von KMUs beschäftigt (s. die „Boost SMEs“ Kampagne) und ich selbst mich mit der Förderung von Start-Ups im Internetbereich. Da sich viele Start-Up Unternehmen zu kleinen und hoffentlich später mittelständischen Unternehmen entwickeln, müssen die Fördermöglichkeiten hier fließend sein und einem Unternehmen in jedem Wachstumsstadium und in jeder Phase der Produktentwicklung bzw. –vermarktung zur Verfügung stehen. Das Ziel muss aber sein, dass diese Unternehmen auf eigenen Beinen stehen können. Wir haben einen Wegweiser durch den EU Förderdschungel geschrieben, der bei Interesse per e-mail an nadja.hirsch@ep.europa.eu bestellt werden kann.

Der Fachkräftemangel ist eine große Herausforderung für die ITK- und Internetwirtschaft. Was schlagen Sie vor, um dieser Problematik zu begegnen?

Der Fachkräftemangel ist nicht nur ein deutsches Problem – doch gerade in Deutschland, wo die Industriebasis so stark ausgeprägt aber deren Wachstum noch nicht ausgeschöpft ist, fehlt es dem MINT-Bereich an Attraktivität – sowohl unter Schülern als auch Lehrern. Hier haben wir Nachholbedarf. Der Fachkräftemangel wird allerdings nicht allein durch innerhalb Deutschlands zu lösen sein. Wir sind daher auf qualifizierte Fachkräfte aus dem EU-Ausland und aus Drittstaaten angewiesen. Deutschland mangelt es jedoch an einer Willkommenskultur, so dass es unter Fachkräften im Vergleich zu anderen EU-Staaten, wie z.B. Großbritannien, wenig attraktiv ist. Auch wenn für Drittstaatler die Vorrangprüfung in Mangelberufen abgeschafft wurde, so gibt es immer noch viele Hürden zu überwinden, wenn man in Deutschland arbeiten will. Die Konditionen, was Aufenthalt und Arbeitserlaubnis für die Fachkraft und auch deren Lebenspartner angeht, sind anderswo einfach besser. Auch für Fachkräfte aus dem EU-Ausland ist das Arbeiten in anderen EU-Ländern oft attraktiver. Dort ist es bspw. weniger kompliziert, Qualifikationen und Abschlüsse anerkannt zu bekommen.

Das EU-Parlament hat im Herbst vergangenen Jahres einen Kompromiss zur EU-Datenschutzgrundverordnung beschlossen. Wie bewerten Sie den ausgehandelten Kompromiss? Wie ist der aktuelle Stand bei der Umsetzung dieses Kompromisses und wo gibt es möglicherweise noch Hürden?

Das Ergebnis der Verhandlungen im Innenausschuss ist ein, wie Sie selbst sagen, Kompromiss. Doch er hat es geschafft, alle Fraktionen zu einigen und stellt damit eine gute Verhandlungsbasis dar, wenn es in der nächsten Legislaturperiode weitergeht und sich auch endlich der Rat einmal dazu äußert. Auch wir Liberalen mussten allerdings bei unseren Forderungen zurückstecken – z.B. dort, wo wir uns mehr und praktikableren Datenschutz gewünscht hätten. Jetzt wird es darum gehen, dass die Mitgliedstaaten das Thema in der nächsten Legislatur nicht fallen lassen, sondern endlich verstehen, dass die EU einen gemeinsamen Datenschutz braucht, damit Vorfälle wie der NSA-Skandal und das illegale Abgreifen und Weiterleiten von Daten nicht mehr vorkommt. Wenn wir international klar machen wollen, dass der Datenschutz in Europa nicht nur ein Lippenbekenntnis ist, dann muss die EU mit einer Stimme sprechen.

Wo sehen Sie die Chancen für deutsche und europäische Unternehmen aus der geplanten Datenschutzgrundverordnung, insbesondere im internationalen Wettbewerb?

Wie ich schon oben erwähnt hatte, sehe ich in einer Berücksichtigung des Kundenwunsches nach mehr Datenschutz eine große Chance für deutsche und europäische Unternehmen. Europäischer Datenschutz kann ein Wettbewerbsvorteil werden. Wer es versteht, diese Forderungen in praktikable Lösungen einzubauen, die dem Bürger die Hoheit über seine Daten gewährleistet, der kann nur punkten – solche Lösungen könnte ich mir bei Servern oder der „Cloud“ vorstellen oder auch bei Suchmaschinen, Plattformen und dem Thema „Big Data“, wo teils riesige Mengen an Daten anfallen, aber nicht immer mit besonderer Sorgfalt behandelt werden.

Die Europäische Union hat einen immer größeren Einfluss auf die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Mitgliedsstaaten. Welche auf EU-Ebene behandelten Themengebiete, neben der EU-Datenschutzgrundverordnung, halten Sie insbesondere für die digitale Wirtschaft von Bedeutung?

Die Digitalisierung ermöglicht uns einen immer weitreichenderen Zugang zu einer weit größeren Menge an Informationen, Diensten, Entertainment und Kultur. Voraussetzung hierfür ist allerdings der Zugang zu schnellem Internet – der Breitbandausbau ist also ein wichtiges Thema. Bei größerer Nutzung und einer steigenden Anzahl von Diensten und Datenumfang wird das Thema Netzneutralität nicht zu umgehen sein. Ich möchte die Netzneutralität, d.h. alle Daten werden gleich schnell und gut transportiert, gesetzlich festschreiben, denn alles andere verdient den Namen „Netzneutralität“ nicht. Die Vollendung des digitalen Binnenmarkts verlangt aber auch Lösungen bei grenzüberschreitenden Angeboten, z.B. von Musik- oder TV-Angeboten: Lizenzvergaben, Pauschalabgaben, Roaming, Funkfrequenzvergabe – all das wird uns beschäftigen. Die Regulierung (oder nicht) von Plattformen, die Haftbarkeit für Daten Dritter und das Urheberrecht – auch hier wird es darum gehen, einen sicheren Handlungs- und Rechtsrahmen für Unternehmen zu schaffen.

Wahlprüfsteine des Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) e.V.

Vom 22. bis 25. Mai 2014 wählen die Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union zum achten Mal das Europäische Parlament. Mit den im Vorfeld zur Wahl aufgestellten Wahlprüfsteinen zur Europawahl 2014 formuliert der BVDW die Erwartungen und Forderungen seiner Mitgliedsunternehmen an Parteien und die zukünftigen Europaabgeordneten. Diese können unter kostenlos heruntergeladen werden.